Kriminalmenü
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Seit über sechs Jahren spiele ich nun Krimidinner in Berlin und anderswo, da wird es doch langsam Zeit, dass das auch auf meiner Homepage zum Ausdruck kommt.

Am 15. Oktober 2003 hatte ich meine erste Premiere mit dieser neuen Form interaktiven Theaters: "Leichenschmaus". Der Spediteur August Starke feiert seinen sechzigsten Geburtstag mit seiner Familie, seinen Mitarbeitern und seinem Jagdverein, während durch eine organisatorische Panne im gleichen Lokal die Absolventen einer Detektivschule zu ihrer Diplomfeier zusammengekommen sind. Ich war Detektivausbilder Karl Hoffmann, dem es zufällt, gemeinsam mit seinen Schülern den Mord an seinem Partner aufzuklären.
Detektiv Hofmann sichert Beweismittel beim Leichenschmaus Die Premiere war ein grauenhaftes Chaos. Keiner von uns hatte so was schon mal gemacht, keiner wusste wie's geht und es gab auch niemanden, den man fragen konnte. Schon die zweite Vorstellung lief sehr viel besser, aber die ganzen wichtigen Leute waren selbstredend in der Premiere gewesen. Wenn ich nur an den Gast denke, der es witzig fand, uns ein Requisit zu klauen - ich könnte ihn heute noch mit einem nassen Lappen erschlagen!
Schlimm war dann nur noch eine Firmenveranstaltung für eine große Bank. Unser Stück war natürlich so konzipiert, dass die Gäste ungefähr aus gleich vielen Männern wie Frauen bestehen, wie das normalerweise in einem Restaurant ja auch der Fall ist. Von der Bank kamen aber 2 Frauen und 66 Männer - und der Horror war: Die Männer sahen alle gleich aus! Die gleichen Frisuren, Brillen, Anzüge, Hemden - wie soll man sich da merken, welches die Detektivschüler sind, die man angeblich seit Jahren unterrichtet, wer der verdächtige 2. Vorsitzende des Jagdvereins und wer Personalchef der Spedition ist?

Unser erster Spielort war das Chalet Suisse in Berlin-Grunewald. Anstrengend war das, weil wir dort in vier Räumen spielten, durch die alle relevanten Informationen jeweils transportiert werden mussten. Aber es legte den Grundstein für eine intensive, fruchtbare und freudvolle Zusammenarbeit mit Josef Diekmann und den hochprofessionellen Teams in seinen Restaurants. Das Chalet wurde für einige Jahre so etwas wie unser Stammhaus und zu jedem Stück wurde extra fürs Chalet eine Mehrraum-Version erstellt.
Produziert wurde "Leichenschmaus" von Ramona Krönke und Anke Reitzenstein. Ramona ging dann zum Quatsch-Comedy-Club und wurde später Cave-Woman, Anke tat sich mit Andreas Dietze zusammen und das nächste Krimidinner produzierten "Die Auftakter".

Fritz Düsselmann und Magneta Pellati geben ihre Verlobung bekannt (mit Barbara Kehr in 'Opera Mortale')Mein guter Freund Chris Kurbjuhn schrieb "Opera Mortale": Nach der Premiere von "Carmen" treffen sich die Mitwirkenden zur Premierenfeier. Natürlich sind auch der Oper wohlgesonnene Honoratioren anwesend sowie einige Damen und Herren von der Presse. Ich spielte den Dirigenten Christian von Boysenberry (alternierend mit Reimund Groß), Regie führte Anna Zimmer. Bei diesem Stück liefen Sandy und ihre Kollegen vom Chalet Suisse später noch zu ganz großer Form auf: Kleidung und Frisuren der Kellner sowie die Speisekarte wurden ganz auf "Carmen" abgestimmt. Eine tolle Zusammenarbeit!
"Opera Mortale" ist ein unverwüstliches Stück und spielt sich fast von allein (Edit: Das galt bis Ende 2009 - Insider wissen, was ich meine. ;-)), wir bieten es wahlweise in deutscher und in englischer Sprache an. Inzwischen gebe ich manchmal auch den Milliardär Fritz Düsselmann, dafür ist Jens Winter als Boysenberry nachgerückt.

Dr. Friedemann Sonntag stellt sich zur Wahl (im Krimidinner 'Schwarzer Sonntag')Im nächsten Jahr kam der Politkrimi "Schwarzer Sonntag": Der politisch engagierte Erbe eines Medienkonzerns lädt ein zu einer außerordentlichen Parteiversammlung. Ich spielte den Unsympathen Dr. Friedemann Sonntag sowie in einer Doppelrolle den netten Pathologen Dr. Julius Hardenberg, Regie führte wieder Anna Zimmer. Ich vermisse dieses Stück (vor allem das Wahlplakat).
Höhepunkt war für mich ein Satz von Thomas Chemnitz als stotternder Polit-Gutmensch Rainer Pritzko, der auf den Mordvorwurf empört entgegnete: "Mmeine W-w-waffe ist d-das W-w-wort!"
Der Tiefpunkt ergab sich bei einer Firmenveranstaltung auf irgendeinem Schloss in Sachsen, wo so ein depperter Gast, der als Arzt nur meinen Tod feststellen sollte, mir eine Herzmassage angedeihen ließ - da wäre ich wirklich fast gestorben.

Nun folgte "Blaues Blut" - und wie es anfing, das war einfach schade, jammerschade. "Blaues Blut" war eine Auftragsproduktion für die Feier eines Lebensmittelkonzerns - und unmittelbar vor der Premiere wurde die Feier komplett abgesagt. Wie schade um all die schönen Ideen, die sich auf den Konzern bezogen, um all die phantasievollen und skurrilen Hommagen an Personen, Orte und Produkte der beteiligten Firmen! Die hätten einen Spaß gehabt, wenn wir es hätten mit ihnen spielen dürfen!
Aber auch so wurde es ein schönes Stück: Auf Gut Schönau haben der Graf und die Gräfin zur Taufe ihres Sohnes geladen. Alles, was im deutschen und internationalen Adel Rang und Namen hat, ist gekommen, ebenso die Leute aus dem Dorf und die Jünger des merkwürdigen Gurus, der den Grafen in seinen Bann gezogen zu haben scheint...
Hier war ich manchmal der alte Graf und manchmal der halbverdeckt arbeitende Kriminalbeamte Onno König.

Als Gastronom 'Harro Wustermann' im Krimidinner 'Gelee Royal'Als Polizist 'Heiko Bückmann' im Krimidinner 'Gelee Royal'2007 war es "Gelée Royale": Der erfolgreiche Gastronom und Geschäftsmann Harro Wustermann feiert die Eröffnung seines zehnten Restaurants; eingeladen sind seine persönlichen Freunde und alles, was in der Stadt schickimicki ist oder sich dafür hält. Mein Lieblingsstück ist es nicht etwa, weil die anderen Stücke schlechter wären, sondern wegen der zwei wunderbaren Rollen, die ich darin spielen darf: Den großkotzigen Harro Wustermann und Heiko Bückmann, den Polizisten, der die Frauen liebte.
Regie führte, wie auch schon in "Blaues Blut", Anke Reitzenstein.

Als Magier 'Roy Krüger' in 'letzter Wille' (Foto: Jens Winter)2008: "Letzter Wille". Das Varieté "Olymp" verabschiedet sich mit einer Trauerfeier von seinem langjährigen Leiter und Besitzer Max Dernier, es trauern seine Familie, seine Mitarbeiter sowie berühmte Varietékünstler und Akrobaten aus aller Welt. Und sie trauern natürlich noch mehr, als während der Feier ein weiteres Leben endet... Hier bin ich der Magier Roy, alternierend mit Martin Molitor (und ich glaube inzwischen auch mit Henrik Schmidt, Reimund und Jens... alle sind scharf auf die Rolle Roy!)

2009: "Tod Couture". Der Berliner Modezar Alexander von Dahlem heiratet seinen Freund und alle, alle sind gekommen...außer Klaus Wowereit, leider. Aber immerhin sein Sicherheitschef ist da. Glücklicherweise, denn natürlich gibt es einen schrecklichen Zwischenfall...

Und schließlich das jüngste Werk: "Morpheus' Garten". Der Zauberberg als Krimidinner. So ein Sanatorium ist eine unerschöpfliche Quelle für interessante Rollen: Patienten mit ungewöhnlichen Phobien, exzentrischen Gewohnheiten, seltsamen Beeinträchtigungen. Als Prof. Dr. Elias Tiefensee heile ich auf meiner Couch hauptsächlich die weiblichen Gäste unseres Hauses.

Für 2011 ist ein Stück im Fleischproduzentenmilieu geplant, mit einer Todesart, von der ich vorher noch nie gehört hatte und auf die ich auch nicht gekommen wäre.
(Manchmal frage ich mich, ob es wirklich ratsam ist, auf Dauer mit Leuten zusammenzuarbeiten, die sich so schreckliche Dinge ausdenken können.)

Was ist nun das Besondere an unseren Krimidinners (wir sollen 'Kriminalmenü' sagen, aber ich kann mich so schwer umgewöhnen)?

'Improvisation und Theater' von Keith Johnstone

Das Besondere für die Gäste: Alle können mitspielen. Jeder Gast bekommt zu Beginn eine kleine Karte, auf der sein Rollenname zu lesen ist und in welcher Beziehung er zu den Mitwirkenden steht. Danach bleibt es (bis auf ganz wenige Ausnahmen) jedem selbst überlassen, ob er diese Möglichkeit nutzt und sich selbst ins Spiel einbringt oder ob er sich zurücklehnen und den anderen Gästen beim Spielen zuschauen möchte.
Die Schauspieler treiben die Geschichte weiter, greifen die Beiträge der Gäste auf und fügen sie in die Handlung ein. Manchmal weiß man nicht genau, wer zu den Gästen und wer zu den Schauspielern gehört.

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Das Besondere für mich: Ich liebe meine Kollegen. Diese spezielle Form der Schauspielerei erfordert scheinbar besondere zwischenmenschliche Fähigkeiten, und wer über diese Fähigkeiten verfügt, mit dem ist es eine Wonne zu arbeiten. Obwohl die meisten von uns außerhalb der Arbeit nie zusammentreffen, ist man doch bei jedem Krimidinner geborgen im Kreis guter, liebevoller Freunde.
Dazu kommt das Spiel mit den Gästen. Jeder Abend ist einzigartig, da die Beiträge unserer zahlenden Mitspieler unvorhersehbar sind. Eigentlich gibt es immer mindestens zwei oder drei, die ich hinterher am liebsten einpacken und mitnehmen würde. Und die anfangs Schüchternen, die erst im Laufe des Abends sich ein Herz fassen und dann von ihrer eigenen Spielfreude überrascht und begeistert sind, erfüllen mich mit besonderer Befriedigung.

Keine unwichtige Rolle spielt zum Krimi das Dinner, natürlich - welcher Schauspieler hat so viele Enten gegessen wie wir? Wer kostete so viele köstliche Schaumsüppchen und leckere Dessertvariationen?

Kleinmachnow, 02.04.2011